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Aus der Lebensarbeit von Georg Glöckler

23. August 1933 – 1. Februar 2019

Georg Glöckler

Mathematik und projektive Geometrie zu lehren war Georg Glöcklers Passion. Auf Goethes Frage im Faust, „was die Welt im innersten zusammenhält“, hätte Georg wohl die Antwort formuliert: die Liebe und die Zahl. Denn durch beides ist alles in der Schöpfung miteinander verbunden und ruft dazu auf, die eigene Mitverantwortung am Ganzen zu erkennen und zu realisieren. Diese ihm gewidmete Website ist noch im Aufbau und möchte Anregungen vermitteln und Arbeitsergebnisse zur Verfügung stellen. Sie möchte aber auch für Freunde und Weggefährten einige Erinnerungen in Wort und Bild festhalten, weil Geselligkeit der Lebensnerv von Georg gewesen ist. Begegnungen, Gespräche und das Pflegen von Freundschaften waren ihm wesentlich.

Was ist das Wesen einer Zahl?

Reinste selbstlose ordnende Dienstleistung in der Evolution und in der freien Handhabe des Menschen.
Sowie die Schöpfung und Evolution nach Maß und Zahl geordnet sind und alle Naturgesetze sich durch sie formulieren lassen, dienen sie auch dem, was der Mensch durch sie und mit ihnen realisiert: in der Wissenschaft, der Technik, der Musik und im kontemplativen Mathematisieren in immer neuen Bereichen der Welt Erkenntnis.

Man kann Zahlen auch seelisch empfinden:
die eins als das allumfassende, die zwei als das polarisierende, Entzweiende, die drei als das vermittelnde, ausgleichende zwischen zunächst unversöhnlich erscheinenden Gegensätzen, die vier als das ordnend-stabilisierende im Raum, die fünf als Zahl der Krise, als alles dessen, was uns vom Erreichen der Vollkommenheit trennt, die durch das Pentagramm (Fünfeck) mit dem ihm innewohnenden goldenen Schnitt geometrisch dargestellt wird, die sechs als das Siegel Salomos, das Hexagramm, dessen beide Dreiecke harmonisch zum Sechseck ineinandergefügt sind und geometrisch das Urbild der Gesundheit zeigen, in dem die Kräfte des oberen (Nerven-Sinnessystem) mit den Kräften des unteren (Stoffwechsel-Gliedmaßen-System) in Harmonie sind – entsprechend dem ägyptisch – hermetischen Prinzip „es ist oben alles wie unten“, die sieben von alters her als Zahl der Entwicklung angesehen, was sich im Alten Testament durch das sechs Tagewerk ausspricht mit dem siebten als Ruhetag und in dem Wochenrhythmus, der durch die Mondviertel bestimmt wird, die acht als die Oktavordnung der Intervalle in der Musik sowie der Anordnung der chemischen Elemente im periodischen System mit den acht Hauptgruppen, die neun als Zahl der himmlischen Engel -Hierarchien, wie sie insbesondere in der christlichen Tradition beschrieben sind und die zehn als die Zahl des Menschen, der sich als Mikrokosmos erleben lernt und erkennt, wie die ganze Schöpfung an ihm Anteil hat und ihm die Möglichkeit gibt, sich sowohl als Geschöpf als auch als schöpferischer Mitgestalter in der Welt-und Menschheitsentwicklung zu empfinden.

Zur geistigen Bedeutung der Zahl ein Beispiel aus der Waldorfpädagogik:
Immer wieder hat Rudolf Steiner in seinen Kursen für Lehrer darauf aufmerksam gemacht, wie der Mathematikunterricht zu handhaben sei, damit durch ihn die Kinder nicht zum Materialismus erzogen würden. Denn Kinder und Jugendliche können nur dann geistig gesund in das Leben hineinwachsen, wenn sie nicht einseitig auf eine Weltanschauung – z. B. die des Materialismus – oder auf eine bestimmte Art des Denkens – im Sinne von «richtig oder falsch» – festgelegt sind. Doch wie kann der Lehrer der Gefahr einer solchen Einseitigkeit entgehen und nicht nur Mathematik, sondern generell alle Unterrichtsfächer «weltanschauungs- und ideologiefrei» unterrichten?

Im Fall der Mathematik gibt Rudolf Steiner schon gleich für das erste Schuljahr den Rat: beim Einführen der Zahlen darauf zu achten, dass Zahlen nicht als Eigenschaften sichtbarer Objekte oder Mengen gelehrt werden, sondern als das, was sie sind: reine mathematische Begriffe, d. h. vorstellungsfreie, nur gedanklich zu erfassende Ordnungsprinzipien. – Wie aber kann man mit Erstklässlern solche Begrifflichkeiten erarbeiten? Zahlenbegriffe, unabhängig von der Objektwelt? Kinder in diesem Alter leben ja noch nicht in gedanklichen Abstraktionen, sondern noch ganz in ihren Sinneserfahrungen! Steiner gibt dazu die Anregung, beim Einführen der Zahlen Fragen zu stellen, die sowohl zu eigenen Beobachtungen anregen können, als auch zu konkreten Begriffsbildungen führen, ohne dass sich diese beiden Erfahrungsfelder unklar vermengen. So kann man etwa die Zahl Vier mit der Frage einführen: Welche Tiere gehen auf vier Beinen? Jemand sagt: der Hund. Welche Tiere kennt ihr noch, die auf vier Beinen gehen? Da kommen dann viele Beispiele – es wird sehr lebendig im Unterricht. Man erfährt, in welchen Ländern die Kinder schon waren, welche Tiere sie im Zoo oder im Fernsehen etc. gesehen haben. Es ergibt sich dann natürlich auch, dass die Zahl Vier zu allen «Vierbeinern» gehört. Weil es aber dabei um kein bestimmtes Tier mehr geht, sondern um alle (vierbeinigen) Tiere, erleben die Kinder einen an sich nur begrifflich zu fassenden Abstraktionsvorgang vom konkreten Hund zum abstrakten Vierbeiner.

Dann aber geht es erst richtig los: Es gibt auch Tische mit vier Beinen, Autos auf vier Rädern, manche Kinder wissen schon, dass es vier Himmelsrichtungen gibt, sogar vierblättrige Kleeblätter und vieles mehr. Dadurch bemerken und erleben sie ganz selbstverständlich, dass Zahlen keine Eigenschaften sinnlicher Dinge sind. Was aber sind sie dann? Zahlen sind für die Sinneswelt ordnende, gliedernde Prinzipien, d. h. Begriffe – etwas rein Gedankliches, «Unsichtbares» – womit man aber die sichtbare Welt «begreifen» kann. Wodurch man verstehen kann, wie die Sinneswelt gegliedert und geordnet ist. Die Kinder empfinden auf gesunde Weise – nicht unklar Gedankliches und Sinnliches vermischend –, dass die Welt der Beobachtung durch die Sinne und die Welt der unsichtbaren Gedanken zwei Bereiche sind, die der Mensch als die Fundamente seiner Erkenntnisbildung zur Verfügung hat und die er selber bewusst zusammenbringen muss. Selbstverständlich wird der Erstklässler diese philosophischen Aspekte nicht reflektieren. Für den Lehrer ist dies jedoch notwendig; denn würde er den Kindern die Zahlen rein sinnlich an Rechenstäben oder Kastanien vorführen, die abzuzählen und als Menge zu verstehen sind, so erlebt das Kind eine Konfusion zwischen der Welt sinnlicher Beobachtung und der Welt gedanklichen Begreifens. Kastanien sind keine Zahlen und die Vier ist keine Eigenschaft von Kastanien. Die einzelne Zahl sollte vielmehr unabhängig von einer bestimmten Vorstellung eines Objektes als nicht sinnlich gegebenes, rein gedanklich-geistiges Ordnungsprinzip erfahren werden. Dadurch wird der Gefahr einer unklaren Vermischung von real Gegebenem – den Kastanien oder verschiebbaren Holzrädchen am Abakus – und der vorstellungsfreien, rein begrifflichen Gedankenwelt vorgebeugt. Es wird dadurch aber auch vermieden, dass der Umgang mit den Objekten, an denen das Erfassen der Zahl gelernt werden soll, langweilig oder lebensfremd erscheint. Diese Objekte – z. B. die Kastanien oder der Abakus – haben ja so, wie sie im Klassenzimmer erlebt und benützt werden, mit dem realen Leben nichts (mehr) zu tun und erscheinen als etwas kalt Abstrakt-Intellektuelles, wodurch die Zahlen auch irgendwie alle gleichartig werden und sich nur durch ihre jeweilige Mengendefinition voneinander unterscheiden. Die Eins aber – die alles umfasst, in der z. B. die ganze Schöpfung enthalten sein kann –, hat einen anderen Realitätsbezug als die Zwei, die etwas ganz Anderes in der Welt anzeigt: nämlich Entzweiung, Spaltung, Polarisierung. Entsprechend muss sie auch anders eingeführt, erlebt und begriffen werden. (Mehr dazu aus den Gesprächen mit Georg Glöckler in dem Buch: Kita, Kindergarten und Schule als Orte gesunder Entwicklung von Michaela Glöckler, Stuttgart 2020)

Siehe auch Zahlen